KIM&CHANG
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PATENTE
Oberster Gerichtshof bestätigt erfinderische Tätigkeit einer Auswahlerfindung auf Enantiomere unter Aufhebung der Vorinstanzen
Sang-Wook HAN, Alice Young CHOI, Seung Hyun LEE
Am 29. August 2017 erkannte der Oberste Gerichtshof in Korea in zwei Urteilen die erfinderische Tätigkeit von zwei Novartis-Patenten in Bezug auf den Stoff und die transdermale Zusammensetzung an. Die Patente decken zwei Produkte zur Behandlung von mit der Alzheimer-Krankheit verbundener Demenz ab (Exelon®-Kapseln und Exelon®-Pflaster).1 Insbesondere das Urteil hinsichtlich des Stoffpatents ist beachtenswert, nicht nur weil dies das zweite Mal war, dass der Oberste Gerichtshof die erfinderische Tätigkeit einer Auswahlerfindung in Korea anerkannt hat, sondern auch weil die beiden Vorinstanzen ausdrücklich die erfinderische Tätigkeit des Stoffes der Auswahlerfindung abgelehnt hatten (ein Enantiomer eines bereits bekannten „Racemat“).2

Hintergrund

Novartis hatte ein neues Enantiomer ((S)-N-ethyl-3-[1-(Dimethylamino)ethyl]-N-methyl-phenyl-carbamat, oder „Rivastigmin“) aus einem in Stand-der-Technik-Dokumenten offenbarten Racemat isoliert und entdeckt, dass dieses Enantiomer eine erheblich überlegene transdermale Durchdringung und 24-Stunden-Laufzeit („transdermalen Effekt“) sowie überlegene Wirkungen als Antidementivum im Vergleich zu Racemat aufweist. Novartis erlangte zwei Patente hinsichtlich dieser Entdeckungen: a) ein auf den Wirkstoff von Exelon® (Rivastigmin) gerichtetes Stoffpatent und b) ein pharmazeutisches Zusammensetzungspatent für die systemische transdermale Verabreichung, umfassend Rivastigmin.3

Das Exelon®-Pflaster war die erste transdermale Therapie in Pflasterform, die weltweit zur Behandlung von mit der Alzheimer-Krankheit verbundener Demenz zugelassen wurde und einen enormen kommerziellen Erfolg erzielt hat.

Verfahrensrechtliche Geschichte

SK Chemicals importierte eine signifikante Menge des Rivastigmin-Wirkstoffes während der Patentlaufzeit des Stoffpatents und fertigte und exportierte anschließend eigene Rivastigmin-Pflaster. Novartis ging im Jahre 2012 dagegen vor, indem es eine Patentverletzungsklage gegen SK Chemicals auf der Grundlage des Stoffpatents einreichte. Daraufhin reichte SK Chemicals ein Nichtigkeitsverfahren beim IPTAB (Intellectual Trial and Appeal Board) gegen die beiden Novartis-Patente, welche die Exelon®-Kapseln und die Exelon®-Pflaster abdecken, ein.

Das IPTAB verneinte die Neuheit des Stoffpatents von Novartis mit der Begründung, dass ein Fachmann aufgrund des allgemeinen technischen Wissens zum Anmeldetag des Patents unmittelbar das Enantiomer, Rivastigmin, aus dem Racemat4 erkannt hätte. Das IPTAB verneinte auch die erfinderische Tätigkeit mit der Begründung, dass das Racemat aus dem Stand der Technik aufgrund der gleichen chemischen Struktur die gleiche transdermale Wirkung gehabt hätte wie Rivastigmin. Somit habe Rivastigmin keine qualitativ andere Wirkung als das Racemat. Das Patentgericht bestätigte in der Beschwerdeinstanz die mangelnde erfinderische Tätigkeit.5

Der Oberste Gerichtshof hob jedoch die Entscheidungen des Patentgerichts auf und sah beide Novartis-Patente für erfinderisch an, da die transdermale Wirkung von Rivastigmin qualitativ eine andere Wirkung sei im Vergleich zu dem, was aus dem Stand der Technik erwartet werden konnte. Dabei konzentrierte sich das Gericht darauf, was ausdrücklich in der Stand-der-Technik-Entgegenhaltung offenbart war, insbesondere in den Ausführungsbeispielen.

Bedeutung

Die Urteile des Obersten Gerichtshofes sind zumindest aus zwei Gründen beachtenswert. Erstens wurde das Stoffpatent als Auswahlerfindung (spezielles Enantiomer versus racemisches Gemisch) geprüft, und dennoch hat das Gericht die erfinderische Tätigkeit anerkannt. Es gibt in Korea sehr strikte Patentierungsvoraussetzungen für Auswahlerfindungen und in der Tat gab es nur einen früheren Fall in Korea, in dem der Oberste Gerichtshof die erfinderische Tätigkeit einer Auswahlerfindung anerkannt hatte.6

Zweitens kam der Oberste Gerichtshof zu seinem Schluss, obwohl beide vorherigen Instanzen (d.h. das IPTAB und das Patentgericht) sich darin einig waren, dass das Stoffpatent für nichtig zu erklären sei. Da die Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof Ermessenssache ist und in den meisten Fällen die materielle Prüfung verneint wird, wenn beide vorherigen Instanzen zu dem selben Schluss kommen, war die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in diesem Fall nicht nur die Prüfung aufzunehmen, sondern auch die Nichtigkeitsentscheidungen der vorherigen Instanzen aufzuheben, unvorhergesehen und ein willkommener Hinweis dahingehend, dass der Oberste Gerichtshof interessiert daran war, die Streitfragen des Falls genau zu überprüfen.

 
1
Siehe Novartis AG v. SK Chemicals Fälle – Urteile des Obersten Gerichtshofes 2014Hu2696 und 2014Hu2702 vom 29. August 2017. Novartis wurde von Kim & Chang vertreten.
2
Ein „Enantiomer“ bezieht sich auf jede der zwei Spiegelbildformen eines chiralen Moleküls. Ein „Racemat“ oder racemisches Gemisch bezieht sich auf ein Gemisch, das ein äquivalentes Verhältnis von zwei Enantiomeren aufweist.
3
Das pharmazeutische Zusammensetzungspatent für die systemische transdermale Verabreichung resultierte aus einer Teilanmeldung, die auf der Stoffpatentanmeldung basierte.
4
Nur zwei Typen von Enantiomeren existieren, nämlich die (R) und die (S) Form.
5
Das IPTAB hatte zunächst festgestellt, dass das pharmazeutische Zusammensetzungspatent erfinderisch sei, aber das Patentgericht verneinte die erfinderische Tätigkeit beider Patente.
6
Oberster Gerichtshof, Aktenzeichen 2010Hu3424, 23. August, 2012.
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